Anja Winter
Ich heiße Anja Winter, wurde 1963 in einer Kleinstadt zwischen dem Münsterland und Ruhrgebiet geboren und lebe seit 1998 in Berlin.
Ursprünglich hatte ich mein Studium der Vergleichenden Religionswissenschaft, Indologie und Indische Kunstgeschichte in der Absicht begonnen, im Auswärtigen Amt oder am hiesigen Museum für Asiatische Kunst tätig zu werden. Nach erfolgreichem Studienabschluss schien dieser Wunsch jedoch in unerreichbare Ferne zu rücken. Meine angeborene Sehbehinderung schritt in dem Maße fort, dass ich nicht nur die Brailleschrift erlernen, den Gebrauch des Blindenlangstocks trainieren und mich mehr und mehr daran gewöhnen musste, mich eher auf Gehör und Tastsinn, statt auf den Sehrest zu verlassen. Zudem erschien mir eine Tätigkeit sinnvoller, die ich mit einer blindenspezifischen Arbeitsplatzausstattung würde bewältigen können.
Die Fortbildung zur Wissenschaftlichen Dokumentarin, für die ich im Jahr 1998 nach Berlin zog, eröffnete mir dank Eigeninitiative schließlich ein Praktikum am damaligen Museum für Indische Kunst -heute Museum für Asiatische Kunst- dem ein zweijähriges Volontariat folgte. Aber was sollte eine nahezu blinde Fachfrau in einer Institution, in der Ästhetik und visuelle Gestaltung eine bedeutende Rolle spielen? Was möglicherweise erst nur als Notlösung gedacht war, eröffnete mir letztendlich ein neues Tätigkeitsfeld und vielen Menschen mit Sehschädigung eine neue Erfahrungswelt: ich sollte indische Kunst nämlich gerade diesen Museumsbesuchern nahebringen!
Auf diese Weise entwickelte ich thematische Rundgänge, in deren Mittelpunkt der hautnahe Kontakt der Besucher mit den originalen Kunstwerken steht. Was bedeutete dass die Kunstwerke von den Führungsteilnehmern mit bloßen Händen angefasst und ertastet werden dürfen.
Dem Volontariat folgten verschiedene projektbezogene Beschäftigungsverhältnisse, die sich immer mit der Planung, Organisation und Durchführung von museumspädagogischen Bildungsangeboten für Menschen mit Behinderung beschäftigten. Und zwischenzeitlich hatte ich meine Tastführungen um weitere Museen mit figurativer Kunst und mit kulturhistorischen Sammlungen erweitert.
Als sich Anfragen von Museen zur barrierefreien Ausstellungsgestaltung häuften, schien von der ehrenamtlichen Tätigkeit hin zur freiberuflichen nur noch ein kleiner Schritt!
Dank meiner Liebe zu Kunst und Kultur biete ich jetzt als „tastkunst“ Führungen für blinde und sehbehinderte Menschen an, die ich in kleinen Gruppen, zu öffentlichen und frei buchbaren Terminen für private und berufliche Anlässe durch Ausstellungen, Museen und im öffentlichen Raum führe. Des Weiteren gibt es spezifische Stadtspaziergänge, in denen die Architektur ausgewählter Areale tastbar, deren Geschichte spürbar und ihre Atmosphäre mit allen Sinnen erfahrbar sind.
Mir macht es große Freude neue Orte zu entdecken und Bezüge zur Vergangenheit und der Gegenwart herzustellen.
Gleichzeitig möchte ich sehende Menschen für die Wahrnehmung und Belange Sehgeschädigter sensibilisieren. Dazu biete ich einerseits Simulationsführungen in Museen mit plastischer Kunst an. Diese eröffnen den sehenden Teilnehmern durch eine Simulationsbrille die Möglichkeit, eine Kunstausstellung aus der Perspektive von Menschen mit eingeschränktem oder fehlendem Sehsinn wahrzunehmen. Zum anderen berate ich Museumsmitarbeiter bei der barrierefreien Ausstellungsgestaltung, bei inklusiven Vermittlungsangeboten und im adäquaten Umgang mit blinden Besuchern.
Die Konzeption einer Tastführung ist immer eine große Herausforderung, die reizvoll ist und gleichzeitig erfinderisch macht. Zeigen Sie am Pariser Platz z.B. ihren Freunden das Hotel Adlon, so versuche ich den Gästen meiner inklusiven Führungen einen Gesamteindruck mit ausgewählten Tasteindrücken, Hörbeispielen oder auch durch eine kulinarische Köstlichkeit zu vermitteln. Die Teilnehmer lernen so Berlin auf vollkommen neue Weise und mit allen Sinnen kennen. Ergreifen Sie die Gelegenheit an einem meiner Angebote teilzunehmen!